Donnerstag, 15. März 2012

Der Club der 100 Milliarden


Vor zehn Jahren ging Enron pleite. Der Energiekonzern, der damals zu den 20 größten Unternehmen der Welt gehörte, scheiterte an seiner Finanzstruktur, an seinen Skandalen, an seiner Hybris. Eine Firma mit 100 Milliarden Dollar Umsatz verschwand von der Bildfläche. Die Märkte kompensierten diesen Wegfall, ohne dass der Kunde dies großartig zu spüren bekam. Eines der größten Unternehmen der Welt, das sich eigentlich mehr durch seine Finanzstruktur definierte als durch seine Produkte und Dienstleistungen, war nicht systemrelevant. Niemand kam, um diesen Giganten zu retten.
Zehn Jahre später könnte man die Frage stellen: Welcher IT-Konzern ist systemrelevant? Immerhin meinte ja schon vor zwanzig Jahren der Reengineering-Papst Michael Hammer, dass wir ohne SAP keine Dose Coca-Cola kaufen könnten. SAP war also bereits damals systemrelevant, obwohl es (bis heute) weit davon entfernt ist, eine Firma mit 100 Milliarden Dollar Umsatz zu sein. Unsere gesamte Logistik haben wir einem Software-Konzern übereignet. Aber nicht nur der SAP, sondern den Controller-Typen in den Unternehmen, die mit Hilfe von ERP über alles wachen, ohne dass ihnen das, was sie steuern, auch gehören muss. Ganz nach dem Muster von Enron. Trotz dieser totalen Abhängigkeit von SAP, die Hammer seinerzeit mit seinem Zitat adressierte, hinderte es die Kunden nicht daran, sich gegen die Walldörfer aufzulehen, als diese mit einem neuen Preiskonzept herauskamen. Ganz so systemrelevant scheint also SAP nicht zu sein.
IBM besitzt mit ihren Mainframes - so sagen manche - offenbar ein ähnliches Machtinstrument. Doch zugleich wissen wir, dass die Großrechner in den letzten zwanzig Jahren wegen ihres Preiskonzeptes viel an Marktanteilen verloren haben. Wohlgemerkt: nicht wegen der Technologie, für die die Ingenieure des Konzerns bis heute bewundert werden, sondern wegen des Preises. Und IBM ist aus dem PC-Geschäft ja nicht wegen der Technologie ausgestiegen, sondern wegen des Preises. Das ist dann auch der Grund gewesen, weshalb Hewlett-Packard im vergangenen Jahr das PC-Geschäft abspalten wollte. Der Preis ist also entscheidend. So möchte man meinen.
Warum aber gelingt es einem Unternehmen wie Apple, der ja nun auch in den Club der Konzerne mit mehr als 100 Milliarden Dollar aufgestiegen ist, seine Hochpreise durchzuhalten und Märkte zu dominieren? Warum gelten Unternehmen wie Google oder Facebook als marktbeherrschend, obwohl zum Beispiel deren Umsätze im Vergleich zum Börsenwert oder dem Gesamtumsatz der Branche eher lächerlich sind? Sie verlangen ja noch nicht einmal Geld von ihren Hunderten von Millionen Kunden. Ob man also systemrelevant ist, hat nur wenig mit dem Preis zu tun. Er ist zwar wichtig, aber nicht entscheidend. Die Gretchenfrage lautet: Was wäre, wenn eine dieser Firmen vom Markt verschwinden würde? Es köönte sein, dass gar nicht viel passiert - wie bei Enron. Sie wären gar nicht systemrelevant. Genau das wäre aber die Katastrophe - für diese Marktbeherrscher.
Enron ging vor zehn Jahren an sich selbst zugrunde. Das Konzept bestand in der Annahme, dass man das, was man kontrollierte, nicht auch noch besitzen musste. Die Kontrolle genügte. Welche verheerenden Folgen das haben kann, konnten wir in der Zwischenzeit auch in der Finanzindustrie beobachten. Das Geschäft mit den Derivaten, die ja nichts anderes zum Ziel hatten, als die Geldinstitute vom Ballast der eigenverantwortlichen Risiken zu befreien, geriet außer Kontrolle - und das passierte ausgerechnet den Controllern, nicht den Raketenwissenschaftlern, die von der Finanzwirtschaft angeheuert worden waren, um ständig neue, noch komplexere Derivate zu erfinden. Und angetrieben wurden sie zudem noch dadurch, dass der Staat sich mehr und mehr als Obercontroller einmischte. In keiner anderen Branche gab es deswegen soviele Innovationen wie in der Finanzindustrie. Es war die Flucht der privaten Controller vor den staatlichen Controllern - mit dem Ergebnis, dass alles außer Kontrolle geriet.

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