Freitag, 26. April 2013

So fängt's an: Financial Engineering bei Apple (wie bei IBM)

(Kommentar) Die Financial Times weist gestern darauf hin, dass sich Apple am Kapitalmarkt Geld borgen will, um die Ausschüttungspolitik finanzieren zu können. Apple verkauft Bonds? Eine Firma die 145 Milliarden Dollar Cash besitzt? Es gibt zwei Gründe dafür, macht uns die FT deutlich: Der erste Grund besteht darin, dass die Zinszahlungen, die Apple an die Bondskunden zahlen muss, steuerlich abzugsfähig sind, der zweite Grund hat einen noch weitaus heftigeren steuerlichen Aspekt. Mehr als die Hälfte des Geldes, das in Apples Taschen brennt, liegt im Ausland. Wenn Apple nun das Geld in die USA transferieren würde, müsste die Gesellschaft dafür Steuern zahlen. So behält man sein Geld - und macht die Aktionäre trotzdem glücklich. Dass die Zinserträge aus zukünftigen Geschäften bezahlt werden, macht die ganze Sache noch attraktiver. Doch insgeheim denkt man: Apple fängt an, von der Vergangenheit zu leben.
In gewisser Weise erinnert dies an die IBM der achtziger Jahre. Nach der Ankündigung der 4300 am 31. Januar 1979 war klar, dass Big Blue die Mietbestände, die dem Unternehmen unglaubliche Margen gebracht hatten, aufgelöst werden. Milliarden strömten in die Kassen des Unternehmens, das prompt - wie Apple - zum meistbewunderten Unternehmen Amerikas wurde. Alle waren fasziniert von diesem Giganten, der - in dem er seine Vergangenheit verkaufte - allen (auch dem Autor dieser Zeilen) vorgaukelte, dass IBM voll auf Zukunft programmiert sei. Alle technologischen Optionen - so der Eindruck beim Mythos IBM - würden besetzt. Die Firma war Apple, Google und Microsoft unter einem Dach. Daraus wurde dann eine der größten Firmenkatastrophen (jedenfalls in der narzistischen Darstellung ihres Retters Lou V. Gerstner) in der Wirtschaftsgeschichte. Mit den Kniffs und Manipulationen von Finanzakrobaten wurde das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs gebracht - ein Blendwerk. Denn IBM stagniert in Wahrheit seit 20 Jahren. Intellektuell und institutionell.
Der Autor dieser Zeilen hat damals wie heute die Meinung vertreten, dass Gerstners Vorgänger, John Akers, derjenige war, der die richtige Strategie hatte. Er wollte die Firma rund um den Kunden wiederaufbauen. Er war es, der nach dem Ausverkauf der Ära von John Roberts Opek zwischen 1979 und 1984 versucht hat, diese Firma voll in Richtung "Service" zu bringen.
Aber es war - wie Kenneth Olsen, dem Gründer von DEC (heute H-P) - ein ganz anderes Verständnis von Service als wir es heute von IBM und allen anderen Servicehäusern kennen. Dieser Service basierte nicht auf dem Vermarkten von indidualiserten Halbfertigwaren (Standardsoftware a la SAP), sondern auf persönlich erbrachter Dienstleistung - auf echtem, vor dem Kunden und mit dem Kunden in dessen Situationen gelebten Engagements. Es basierte auf persönlicher Verantwortung jedes Mitarbeiters. Das war der Grundgedanke. Und es war schwierig genug, wahrscheinlich sogar unmöglich, einen solchen Servicegedanken in ein vom maschinell erzeugten Erfolg versauten Unternehmen einzubringen. "Tut alles für die Kunden", hatte Kenneth Olsen nach seinem Abschied zu seinen Mitarbeitern bei DEC gesagt. "Auch wenn ihr dabei eine Zeitlang kein Geld verdient!" Akers dachte sehr ähnlich, scheiterte aber am Widerwillen der Wall Street, die ihn dann vor 20 Jahren in die Wüste schickte. Akers war ein tragischer Held. Je mehr er versuchte, das Schicksal abzuwenden, das auf IBM zurollte, desto schneller ereilte es den Giganten. Er war am Ende bereit, IBMs Ausverkauf zu betreiben. Ein verselbständigtes PC-Geschäft hätte damals bestimmt mehr Geld an der Börse erzielt, als IBM dann 2004 von Lenovo bekam. Vor allem aber wäre es heute wahrscheinlich noch im International Business. Ähnlich wäre es bei Speichersystemen und Servern, deren Ausverkauf nun auch begonnen hat.
Vielleicht hätte sich über allem eine neue IBM gestellt, die sich selbst als einen Markt der Möglichkeiten verstanden hätte - mit satten Beteiligungen an den diversen Töchtern und einem eigenen Geschäft, das eben auf persönlich erbrachten Dienstleistungen basiert. Es wäre ein Unternehmen entstanden, das zu Recht als Vorbild für das 21. Jahrhundert gegolten hätte. So aber wurde aus IBM ein Selbstreparaturbetrieb.
Apple, heute das Vorbild, steht nun an dem selben Scheideweg. Sie kann unter Tim Cook so weitermachen, wie es Steve Jobs hinterlassen hat. Und es sieht so aus, als hätte sie sich auch gegen die Zukunft entschieden und donnert weiter in Richtung akute Aktionärsbefriedigung, in Richtung Financial Engineering.
Die Frage ist, hätte ein Steve Jobs diese Gefahr erkannt und rechtzeitig die Weichen in eine andere Richtung gestellt? Leider bekommen wir keine Antwort darauf. Sicher ist, wenn er diese Notwendigkeit erkannt hätte, dann hätte er auch gegen den Widerstand der gesamten Wall Street (das ist übrigens Ostküste und nicht Westküste) diese Umkehr durchgehalten.
Akers war, wie Cook jetzt, nur ein Manager, nicht der Gründer. Vielleicht hat man deshalb nie die natürliche Autorität, um einen echten Strategiewechsel durchzuziehen. Aber Akers hat es wenigstens versucht. Und deshalb bewundere ich ihn bis heute. Und wer als Beobachter das Desaster von 1992/93 miterleben durfte, erinnert sich, dass niemand anders als Thomas J. Watson Jr.* am liebsten die Führung über IBM wieder übernommen hätte - eine Führung, die er zwanzig Jahre zuvor, zu Beginn der siebziger Jahre, aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat.
In seinen Memoiren erinnert es uns daran, wie sehr er anschließend mit Qualen (er äußert sie in seinem Buch zurückhaltend, aber man spürt sie durch die Zeilen hindurch) das Verhalten seiner Nachfolger verfolgt hat. Die Bürokratie hatte gesiegt - und mit deren Aufstieg verschwanden die technologischen Helden des Unternehmens (Amdahl, Brooks und Blaauw).
Aus eigener Anschauung kenne ich nur die IBM der Nach-Watson-Ära. Aber einen kleinen Schimmer der IBM, wie sie wohl in der Zeit von Vater & Sohn gewesen ist, habe ich dennoch erfahren dürfen - nämlich als vor 35 Jahren, 1978, die Strich 38 angekündigt wurde. Es war der Restposten des sogenannten Future Systems, mit dem IBM die Zukunft für alle Zeit besetzen wollte, aber am Financial Engineering der damaligen Zeit scheitern ließ. Und ich durfte dabei sein, als sie vor 25 Jahren die Fortführung der /38 als AS/400 zelebrierte. Bis heute rekrutiert IBM aus diesem Segment ihre zufriedensten Kunden, heißt es immer wieder. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Großkotz-IBMer dieses Segment nie wirklich verstanden haben, und deshalb die Macher & Denker hier haben operieren können, wie sie es für (unternehmerisch) richtig hielten. Vielleicht liegt es auch daran, dass man hier in kluger Voraussicht nie den Übererfolg erzielt hat, der die Großkotz-IBMer anlockt, um sich den Erfolg auf die Fahnen zu schmarotzen.
So, das musste ich auch mal loswerden.
Ihr
Raimund Vollmer

NACHTRAG
Interessant ist übrigens, dass die deutsche Wikipedia über Watson Junior nur einen Zweizeiler zu berichten weiß. Bei John F. Akers sieht es auch nicht viel besser aus. Erwähnt wird hier, dass Akers von Portfolio.com in die Liste der schlechtesten amerikanischen Geschäftsführer aufgenommen worden sei. Wenn man die Begründung liest, sieht man, dass diese Website in die Liste der schlechtesten IBM-Kenner gehört. In der amerikanischen Wikipedia kommt Akers besser weg. Da wird gar Steve Jobs erwähnt, der sich durchaus positiv über Akers äußerte. Die deutsche Wikipedia kennt John R. Opel gar nicht, dafür die englische Fassung, aber mehr als ein paar Zeilen sind für den 2011 verstorbenen Topmanager, der immerhin mal die Seite 1 von Time schmückte, nicht drin.

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